Angesichts des nunmehr vollzogenen, vertraglich geregelten Brexits plädiere ich für eine Nachbesserung des vorliegenden Rahmenabkommens Schweiz-EU, insbesondere in den Bereichen Guillotine-Klausel und EuGH-Gerichtsbarkeit. Ziel muss sein, dass die Nachbesserung vor einer Volksabstimmung besteht. Eine Inkaufnahme des Scheiterns der zu führenden Verhandlungen hingegen sehe ich aus folgenden Gründen problematisch:
- Die damalige knappe Ablehnung des EWR hatte die Bilateralen zur Folge. Eine Inkaufnahme der Erosion ebendieser Bilateralen ist aus meiner Sicht nicht nur wirtschaftlich, sondern gesamtheitlich betrachtet (kulturell, bildungspolitisch etc), im weitesten Sinn ein Rückschritt für die Schweiz.
- Als Unternehmer ist mir dabei die erreichte Personenfreizügigkeit eine wichtige Errungenschaft und ein Aufgeben derselben nicht akzeptabel – auch das Volk will dies nicht (das Ergebnis der Abstimmung über die Begrenzungsinitiative machte dies deutlich).
- Die Schweiz ist die Schweiz und geografisch, kulturell und wirtschaftlich im Herzen Europas liegend und verwurzelt. Wir sind nicht England und Vergleiche mit anderen europäischen Ländern bringen keinen Mehrwert. Und auch wenn über 60 Prozent der Exporte ausserhalb der EU stattfinden, kann dies kein Argument sein, im Umkehrschluss als last resort einem Freihandelsabkommen Schweiz-EU das Wort zu geben. Das kann nicht das Ziel einer europaorientierten Schweiz sein.
- Kein Mensch kann heute abschätzen, was das über 2000-seitige "Brexit-Vertragswerk" letztlich für England bedeutet und welche wirtschaftlichen (von den gesellschaftlichen Spaltungen und Konsequenzen im United Kingdom ganz abgesehen) und andere Konsequenzen daraus weiter entstehen. Ähnliches gilt, wenn wir eine Erosion der Bilateralen in Kauf nehmen wollen. Wer kann die Konsequenzen in diesem Fall wirklich ernsthaft und glaubwürdig beziffern?
- Institutionen der Schweiz, auf die wir bisher stolz sein konnten: wie steht es eigentlich um unsere "Institutionen"? Alleine schon das Trauerspiel, das die Bundesanwaltschaft seit Jahren abliefert und nicht einmal in der Lage ist, einer Fifa den Prozess zu machen, sendet denkbar negative Signale, gerade auch ins Ausland. Ein BAG, das trotz eines 2018 eigens erstellten Pandemiekonzepts vielfach unfähig war, die Pandemie zu meistern; eine eidgenössische Steuerverwaltung, die trotz eines SVP-Finanzministers im vorauseilenden Gehorsam Finanzdaten an andere Länder – nota bene ohne Reziprozität – liefert; ein EDA, das seit Jahren laufend schlechte Personalentscheide trifft; eine SBB, die seit zehn Jahren bestellte Intercity-Züge nicht auf die Schienen bringt und laufend zunehmende Verspätungen produziert; eine Post, die laufend Dienstleistungen abbaut etc, etc. Leider kommt dazu, dass die Ansiedelung ausländischer Unternehmen seit Jahren ebenfalls abnehmend ist.
Was nach wie vor gut funktioniert, ist unsere direkte Demokratie mit einer Fülle von Abstimmungen – diese sind jedoch die Folge einer schwachen Regierung, medialer Hysterie und ausufernder Klientelbewirtschaftung. Die Abstimmungsflut wird zunehmend zum Durchlauferhitzer; die Folge eines mit Lobbyisten umgarnten Parlaments, das leider kaum noch unternehmerisch besetzt ist. Dies führt zu einer Reformunfähigkeit in vielen Bereichen – Altersvorsorge, Steuern (Heiratsstrafe) und weitaus mehr. Es geht primär nur noch um Besitzstandswahrung und kaum noch um innovative Neukonzepte. Zudem sind Gewerkschaften und Linke bestens orchestriert, was am Beispiel «Flankierende Massnahmen» (FLaM) hervorragend demonstriert wurde – die Wirtschaft war nur Zuschauerin.
Auch um unsere Rechtssicherheit ist es zunehmend schlechter bestellt – die Zulassung der Rückwirkung bei der damaligen Abstimmungsvorlage Erbschaftssteuer, Datenlieferungen (wie oben erwähnt) ans Ausland etc.
Überspitzt ausgedrückt: wenn wir so weitermachen, brauchen wir nicht der EU den Schwarzen Peter für die abnehmende Attraktivität unserer Rahmenbedingungen zuzuschieben, sondern sollten zuerst einmal vor unserer eigenen Haustüre kehren. Und insofern kann und darf aus meiner Sicht ein Freihandelsabkommen Schweiz-EU keine ultima ratio sein.
Stattdessen ist nun eine engagierte und inhaltlich die wesentlichen Argumente vertiefende Debatte an der Zeit. Die Schweiz sollte die Chance nutzen, das bisherige Vertragswerk nachzubessern.