Viermal seit 2000 haben sich die Schweizer Stimmbürgerinnen und -bürger an der Urne für die Personenfreizügigkeit entschieden, letztmals Ende September, als es um die Begrenzungsinitiative der SVP ging. Viermal haben sie sich damit für nicht weniger als eine der vier Grundfreiheiten der Europäischen Union ausgesprochen. Das ist Europarekord. Gleichzeitig haben sie damit viermal für einen elementaren Bestandteil der Bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union votiert.
Klarer kann ein Signal nicht sein. Die Schweiz will keinen Schwexit. Die Schweiz will den bilateralen Weg. Die Zeit ist reif, diesen fortzusetzen und das Rahmenabkommen souverän und zügig vorwärtszubringen. Doch was geschieht?
Die Allianz für die Bilateralen droht zu zerbrechen. Die CVP poltert gegen das Abkommen, wie man es sonst nur von SVP-Politikern kennt, und stellt mit der Kritik am verhandelten Streitschlichtungsverfahren und der Unionsbürgerrichtlinie in Frage, was zuletzt im Grundsatz nicht mehr umstritten war. Gewerkschaften und SP fordern weiterhin stur Maximales beim Lohnschutz. Und Alt-Bundesrat Johann Schneider-Ammann mäkelt an dem herum, was er als früheres Regierungsmitglied miterarbeitet und mitgetragen hat. So drohen die Abstimmungsverlierer und Opponenten des bilateralen Wegs die Gewinner zu werden, und die Gewinner machen sich selbst zu Verlierern.
Es ist an der Zeit für die Landesregierung, endlich Schub zu geben. Das Ziel ist klar: Den bilateralen Weg und damit den Zugang zum europäischen Binnenmarkt sichern und souverän zukunftsfähig gestalten. Das mit der EU verhandelte Abkommen liegt seit 2018 auf dem Tisch. Seit Mitte 2019 ist klar, dass in den drei Punkten staatliche Beihilfen, Lohnschutz und Unionsbürgerrichtlinie innenpolitische Klärungen erforderlich sind, um aussenpolitisch den Faden mit der EU erfolgreich wieder aufzunehmen.
Jetzt, nach dem deutlichen Nein zur Begrenzungsinitiative, steht der Bundesrat mehr denn je in der Pflicht, endlich Klarheit über die Zukunft der Beziehungen mit der EU zu schaffen. Konkret ist er gefordert, rasch mit den Kantonen und den Sozialpartnern zu Lösungsvorschlägen in den zu klärenden Punkten zu kommen und die EU dann davon zu überzeugen. Der nächste Meilenstein auf dem bilateralen Weg ist dann zeitnah an die Urne zu bringen.
Die Bevölkerung steht hinter den Bilateralen. Ein grosser Teil ist bereit für den nächsten Schritt – mit dem vollen Bewusstsein dafür, dass nachbarschaftliche Beziehungen stets mit einem Geben und Nehmen verbunden sind. Das haben auch die Gespräche «Reden über die Schweiz und Europa» gezeigt, die Sensor Advice zum Rahmenabkommen in allen Landesteilen mit über 150 Bürgerinnen und Bürgern geführt und danach analysiert hat. Ein Berufsmann mittleren Alters der am Gespräch in der Ostschweiz teilnahm, brachte es auf den Punkt: «Vielleicht müssen wir eine Kröte schlucken, dafür bekommen wir ganz viele Rosinen.» Der Souverän scheint beim Rahmenabkommen weiter als die Politik zu sein.