»Anna Rosenwasser (Sie)«, steht in ihrem Kurzbeschrieb auf der Social-Media-Plattform Instagram. So informiert Rosenwasser die Besucher ihrer Seite, mit welchen Pronomen sie gerne angesprochen wird. Ein Detail und doch bereits Teil ihres queeren Aktivismus. Das »(Sie)« gibt einen ersten Eindruck ihres konsequent inklusiven Sprachgebrauchs. In der »NZZ am Sonntag« sagt sie dazu: »Sprache hat die Aufgabe, Realität abzubilden.« In ihrer aktivistischen Tätigkeit kämpft sie für die Inklusion aller Geschlechter – was in der Realität des 21. Jahrhunderts mehr als nur Sie und Er bedeute.
Auf ihren sozialen Medien gibt sie tiefe Einblicke in ihren Alltag und ihr LGBTIQ+-Engagement. Und zwar laut und schallend. So tanzt sie mal schnittig herausgeputzt durch ihr Wohnzimmer und filmt sich dabei für ihre Instagram-Fans. Rosenwasser nennt es »Homo-Office«, wenn sie von zu Hause aus arbeitet. Sie bildet auf Instagram ihren Homeoffice-Alltag ab und thematisiert dabei auch Bereiche wie ihre Garderobe. An einem Tag trägt sie einen schwarzen Frack, am nächsten Katzenpullover und Schlabberhosen. Mal ist sie geschminkt, ungeschminkt, müde, fit, im Sommerkleid oder im »Tomboy-Look«.
»Wenn wir still bleiben, während jemand etwas Schlimmes sagt, sind wir Teil des Schlimmen. Egal ob euer Gegenüber das eigene Mami, eine fremde Person oder ein 86-jähriger Schriftsteller ist. Wehrt euch auch dann, wenn es eben nicht um euch geht.« – Anna Rosenwasser
Ihr ehemals sehr mädchenhaftes Aussehen habe ihr lange Zeit Schwierigkeiten bereitet. So hatte sie wegen ihrer weiblichen Attribute mit Sexismus zu kämpfen. Zum anderen sei sie oft so »richtig girly girly« angezogen gewesen, dass man ihr das Bi-Sein nicht abgenommen habe. Mit der Präsentation ihres Stils hält sie dagegen. »Queere Menschen kommen in allen Formen vor. Wie du aussiehst, tut nichts zur Sache.«
Über 15 000 Menschen beobachten sie dabei. Die Internet- Bekanntheit ist neu für sie. Angestrebt hat sie das nie – an diesen Punkt in ihrem Leben kam sie mehr zufällig als durch Planung. Langfristige Selbstverpflichtung geht sie eigentlich sowieso bloss in Freundschaften und Liebesbeziehungen ein, alles andere in ihrem Leben entstünde aus dem Flow heraus. »Ich bin Anna Rosenwasser, der grösste Katzenfan der Welt« Gegen 08.15 Uhr öffnet Rosenwasser ihre Wohnungstür, die direkt in die Küche führt. Auf den ersten Blick bestätigt sich, was die 7-jährige Anna Rosenwasser in einem kürzlich veröffentlichten Video sagt:
»Ich bin Anna Rosenwasser, der grösste Katzenfan der Welt!«
Selbst gebastelte und gekaufte Tassen mit Katzensujets in allen Farben zieren ihr Küchenregal. Gleich daneben hängt ein Spiegel, verziert mit Katzenohren und Schnurrbarthaaren – auf Kopfhöhe, also passend für Selfies. Darüber hängen Bilder von Katzen, die ihren Freund:innen und ihrer Familie gehören.
Sie setzt eine Kanne Tee auf den Herd, bevor sie ins Wohnzimmer geht. »Den darf ich nicht vergessen, wenn er kocht.« Am Wohnzimmertisch setzt sie sich unterhalb eines Regals, auf dem sich Bücher in Regenbogeneinbänden türmen. Ohne Umschweife beginnt sie zu erzählen.
Anna Rosenwasser ist 1990 in Schaffhausen geboren und wächst in einer Familie mit drei Brüdern, Mutter und Vater auf. Eine »casually linke Familie«, wie sie sagt. Auf dem Wohnzimmertisch ihrer Kindheit liegt schon ab und an der »Tages-Anzeiger«, und die SVP mag man grundsätzlich nicht so. Rosenwassers Mutter ist Schweizerin, ihr Vater ist ein jüdischer Israeli, der seit 30 Jahren in der Schweiz lebt. Ihre Familie väterlicherseits lebt in Israel. Sie sei atheistisch aufgewachsen, und liebevoller Atheismus mache sie noch immer sehr glücklich. Dass sie ihr Judentum zur Sprache bringt, liege eher daran, dass man sie aufgrund ihres Davidsterns um den Hals – »habe ich seit der Kindheit« – und ihres Nachnamens »same lol?« für jüdisch halte; mit der Folge, dass es zu Antisemitismus kam. »Lol« ist einer der Begriffe, die aus der Internetsprache ihren Weg in die Alltagssprache gefunden haben. Der Ausdruck steht für »laugh out loud«, was übersetzt so viel bedeutet wie: »Ich lache laut auf.« Ein Ausdruck, den Anna oft verwendet, um lustige oder sarkastische Bemerkungen in Unterhaltungen zu untermalen.
Anna Rosenwasser hat zwei Grossmamis, die ihrer Zeit etwas voraus waren. Ihr Schweizer Grosi hat in ihren Dorfvereinen für das Frauenstimmrecht geworben. Das israelische Grosi hat nach dem frühen Tod ihres Mannes drei Kinder alleine aufgezogen. Beide Grosis sind bis ins hohe Alter sehr wach, kritisch und unabhängig. »Das finde ich cool«, schreibt sie in einer Mail. Diese Eigenschaften seien ihr vielleicht vererbt worden. Sonst sei vom aktivistischen Geist ihrer Grosis jedoch nicht viel spürbar gewesen im Familienalltag.
Nach etwa 45 Minuten klopft jemand zaghaft an die angelehnte Tür. Annas Freundin und Mitbewohnerin Flo. »Es kocht Tee auf dem Herd«, sagt sie. Anna steht lachend auf. Wer denkt schon an den Tee, wenn man über hoch engagierte Grosis sprechen kann.