Wo fühlt sich ein Mensch daheim? Diese Frage stellte sich das Berner Pop-Duo Tuwan und tüftelte daraufhin ihren Hit »Mehrzahl vo Heimat« aus. Der berndeutsche Song lief im vergangenen Jahr bei Schweizer Radiostationen auf und ab. Eine Hälfte von Tuwan ist Collins Onoha Uzondu. Seine Mutter ist Schweizerin, und sein Vater stammt aus Nigeria. Zu Hause fühlt er sich aber nicht zwingend in einem dieser beiden Länder. »Für mich ist Heimat viel mehr ein Gefühl als ein Ort«, erzählt der 25-Jährige bei einem Spaziergang durch die Stadt Bern. Der beginnt in einer Kaffeebar am Bahnhof. Die Cafés haben wegen Corona-Restriktionen noch immer geschlossen. Statt einer Tasse gibt es deshalb einen Pappbecher.
»Dort wo ich mich wohlfühle, bin ich daheim«, ergänzt Uzondu, während er seine Hände am Kaffeebecher aufwärmt. Das Gefühl, daheim zu sein, geben ihm vor allem seine Freunde und Familie. Sie unterstützen den Musiker, Kameramann, Sicherheitsmitarbeiter und Fotografen bei all seinen Projekten. »Meine Eltern haben mich immer machen lassen«, so Uzondu. Ein Grund dafür sei sicherlich auch, dass die Familie seiner Mutter eine künstlerische Ader besitzt: »Einer meiner Cousins ist DJ, und ein anderer wohnt in Berlin, wo er hauptberuflich als Akrobat arbeitet.« Seine erste Inspiration sei aber sein Grossvater mütterlicherseits gewesen. Ihn habe er als Kind alle vier Tage besucht. »Er war der einzige Musiker in der Familie«, erzählt Uzondu. Er spielte Klavier und Geige und leitete zudem eine Musikschule.
Ein Song für die halbe Schweiz
Zu Beginn von Uzondus Musikkarriere haben seine Eltern ihn immer wieder daran erinnert, die Ausbildung nicht zu vernachlässigen. »Das machen sie jetzt aber nicht mehr. Sie glauben an mich«, sagt Uzondu. Ihr einziger Wunsch sei schon immer gewesen, dass ihr Sohn auf eigenen Beinen stehen kann. Bei diesem Punkt seien sich die beiden einig gewesen, obwohl sie schon lange kein Paar mehr waren.
»Ich bin bei meinem Papa aufgewachsen«, sagt der Sänger. Seine Eltern trennten sich, als Uzondu gerade mal sechs Jahre alt war. Das Ex-Paar habe sich nie scheiden lassen und verstehe sich bis heute sehr gut. »Meine Mutter wohnt nur fünf Minuten von mir entfernt, ich sehe sie sehr oft«, erklärt Uzondu.
Der Spaziergang durch Bern führt am Bundesplatz und am Bundeshaus vorbei auf die Bundesterasse, wo der Sänger seinen To-go-Kaffee auf einen der kleinen Metalltische stellt und sich hinsetzt. Mittlerweile ist es zehn Uhr morgens, die Sonne versteckt sich immer wieder hinter einer trüben Wolkenschicht. Uzondu reibt sich die Hände, es ist kühl.
Sein Vater kommt aus dem Südosten von Nigeria, wo Igbo gesprochen wird. Es ist derselbe Dialekt, der auch in »Mehrzahl vo Heimat« vorkommt. Wenn Uzondu und sein Bandkollege Michel Piangu also »Eba abomonie ebahu« singen, bedeutet das: »Hier bin ich der von dort.« Der Text geht auf Lingala, ein kongolesischer Dialekt, den Piangus Vater spricht, weiter und lautet übersetzt: »Dort bin ich der von hier.« Der Song vom Sommer 2020 handelt von einem Gefühl, das jeder Mensch mit Migrationshintergrund kennt. In der Schweiz sind das laut Bundesamt für Statistik fast 40 % der Bevölkerung. Kein Wunder also, dass »Mehrzahl vo Heimat« zum Hit wurde. Dazu kommt, dass das Lied erschien, als die »Black-Lives-Matter«-Bewegung weltweit so präsent war, wie noch nie – Absicht?
»Nein, überhaupt nicht«, entgegnet Uzondu. Der Song sei bereits Ende 2019 entstanden. Trotzdem habe er gehofft, dass sein Text zur laufenden Diskussion beiträgt. »Das hat er dann auch«, sagt er. Seit dem Release gibt das Pop-Duo immer wieder Interviews in der ganzen Schweiz, Hauptthema: Rassismus. Es ist eine Diskussion, die in der Schweiz öfters geführt werden muss. »Es gibt immer wieder Menschen hier, die denken, es gäbe bei uns keinen Rassismus. Das stimmt einfach nicht.«