Das Wasser fliesst leise aus dem Wasserhahn, die Motoren der elektrischen Rasierapparate brummen. Abgeschnittene schwarze Haare bedecken den glänzenden Boden, der nach jedem Kunden sorgfältig gewischt wird. Die Gespräche zwischen den Angestellten und den mehrheitlich männlichen Kunden werden abwechselnd von Chart-Hits und dem Rauschen von Haartrocknern übertönt. Im Salon in der Europaalle, der von vielen Spiegeln, hellen Lichtern und einer hohen Decke geprägt ist, herrscht reger Betrieb. Denn bei »Coiffeur Saleh« kann man kommen, wann man will. Mit dieser Idee revolutionierte Ghamkin Saleh 1998 den Schweizer Coiffeurmarkt. Günstige Preise und Termine ohne Voranmeldung haben den syrischen Kurden zu einem der erfolgreichsten Coiffeur-Unternehmer in Zürich gemacht. Doch die 17 Coiffeursalons in Zürich und Basel sind nicht das einzige Standbein des Multi-Unternehmers. Der selbst ernannte »Neuschweizer « ist leidenschaftlicher Filmemacher und betreibt nebst einer Filmproduktionsfirma auch zwei Restaurants, eine Schneiderei und eine syrische Konditorei.
Auf der Suche nach künstlerischer Freiheit
Ghamkin Saleh wurde 1970 in der Stadt Amuda im Norden von Syrien geboren. Als kleiner Junge wollte er nicht so sein wie die anderen. Und so tauschte er mit dem Nachbarsjungen eine Spielzeugwaffe gegen ein kurdisches Streichinstrument. Daraus entstand seine Leidenschaft für die Musik und den Gesang, die den »Neuschweizer« bis heute begleitet. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er früh Verantwortung für sich, seine sechs Brüder und drei Schwestern. Sein Tatendrang bekam erstmals ein Bäcker zu spüren, bei dem er frühmorgens Brot für die gesamte Familie holen musste. War der damals 12-Jährige zu früh da, half er kurzerhand beim Backen mit und verdiente sich ein wenig Taschengeld dazu. Im selben Alter riet ihm sein Onkel, das Coiffeurhandwerk zu lernen. Haare schneiden müsse man immer, sogar im Gefängnis. Das nahm er sich zu Herzen. Gleichzeitig entdeckte der junge Ghamkin sein Interesse für Filme.
Yilmaz Güney und sein Film »Yol – Der Weg«, der als erster türkischer Film das Wort Kurdistan und einige Sätze in kurdischer Sprache enthielt, weckten in ihm einen Traum, den er wegen der politischen Umstände in seiner Heimat nicht verwirklichen konnte. Weder er noch jemand aus seiner Familie war Mitglied der noch heute dominierenden syrischen Baath-Partei, weshalb es ihm nicht erlaubt war, nach der Matura Film zu studieren. Für den passionierten Kinogänger brach eine Welt zusammen, doch rasch fing er sich und wich auf seine zweite Leidenschaft, die Musik, aus. In der multiethnischen Grossstadt Qamischli studierte er zwei Jahre lang Laute, ein traditionelles Zupfinstrument. Die politischen Spannungen führten dazu, dass der Streichmusiker seine Heimat verliess. Die zwei Optionen, Militär oder 20 Jahre Gefängnis, vertrieben den jungen Studenten. Immer mit dabei: der Wunsch, Film zu studieren. Die Flucht führte ihn über Umwege in die Schweiz, wo er als 24-Jähriger in einem Asylzentrum in Kreuzlingen landete. Angekommen in der Schweiz, arbeitete er als Tellerwäscher in der Pizzeria Santa Lucia an der Ecke Josefstrasse/ Luisenstrasse im Zürcher Kreis 5.
Seine Arbeitskolleginnen und -kollegen wie auch sein Chef spürten schnell, was in seiner Heimat schon der Bäcker erkannte: Tatendrang. Der Wahlzürcher folgte dem Rat seines Onkels und arbeitete nicht nur als Tellerwäscher, sondern wurde auch zum persönlichen Coiffeur aller Mitarbeitenden. Geld wollte er keines annehmen. Und wenn ein Kunde doch darauf bestand, legte er es zur Seite, um damit selbst zum Coiffeur zu gehen. So entstand seine erste Geschäftsidee: ein günstiger Coiffeursalon ohne Voranmeldung. Denn er selbst konnte sich bei den Preisen kaum einen Haarschnitt leisten. Keine hundert Meter von der Pizzeria entfernt, wo er sich längst zum Kellner und Pizzaiolo hochgearbeitet hatte, eröffnete er dreieinhalb Jahre später seinen ersten eigenen Salon an der Josefstrasse in Zürich. Mit der Eröffnung des ersten »Coiffeur Saleh« verschlechterte sich die politische Lage in Syrien. Zwei Jahre später folgten ihm zwei seiner Brüder in die Schweiz und arbeiteten für und mit ihm. Das Unternehmen expandierte, für jeden Bruder wurde ein eigenes Standbein, sprich: ein eigener Salon, eröffnet. Die Coiffeurkette wuchs stetig weiter, bis beinahe alle Familienangehörigen einen sicheren Arbeitsplatz in der Schweiz hatten.