Der Laptop-Bildschirm ist noch schwarz, eine Stimme dringt aber schon durch. Ein paar Sekunden später erscheint das Bild von Gülsha Adilji. Sie setzt zur Begrüssung an, beugt aber plötzlich ihren Kopf näher zur Kamera und zeigt auf ihren Haaransatz. Aus den Lautsprechern dringt ein lang gezogener Seufzer.

»Sieh mal, man sieht schon voll die grauen Haare!«

Mit ihren beiden Zeigefingern fährt sie sich langsam über ihre Haare. Die Pixel lassen keine einzige graue Strähne erkennen. Es entsteht kurz das Gefühl, mit einer alten Bekannten bei einem coronabedingten Zoom-Treffen zu sitzen. Das Eis ist gebrochen. Adilji beginnt das Gespräch auf zugängliche Art, schliesst das Gegenüber gleich mit ein, auch wenn es um ihre Haare zu gehen scheint. Sie sagt, sie sei gerade noch am Arbeitsplatz, sei aber schon früher fertig. Es sei heute entspannt gewesen. Sie sitzt vor einer modernen braunen Steinwand irgendwo in Berlin, grosse Fenster erhellen den Büroraum.

In Zürich ist sie inzwischen Teil von »Atelieer«, einer Schreibwerkstatt, in der unter anderem Texte und Geschichten für Bühnen und Schulen geschrieben werden. Dazu arbeitet sie als Moderatorin und Kleinkünstlerin. Mit ihrem Soloprogramm »D’Gülsha Adilji zeigt ihre Schnägg« trat sie von 2017 bis 2019 erfolgreich auf Schweizer Bühnen auf. Die St. Gallerin fährt sich vorsichtig über die Haare und blickt direkt in die Kamera: »Um was genau geht es wieder in diesem Interview? Weiss es gar nicht mehr so richtig.«

 

Ein Jugendsender als Sprungbrett

Die inzwischen 35-Jährige war lange Zeit das Gesicht der jungen Schweizer Fernseh- und Onlinewelt. Als der Privatsender »Joiz« am 28. März 2011 zum ersten Mal auf Sendung ging, stand Adilji mit in den Startlöchern. Ab Sendestart moderierte die kleine Frau mit einem Mikrofon in der Hand vor der Kamera und stilisierte sich in kürzester Zeit nicht nur zum Aushängeschild des Jugendsenders, sondern auch zu dem einer ganzen Generation. In den 2010er-Jahren sah die Welt den Aufstieg von Social Media, aber auch den von starken Frauen. Die damals 25-Jährige traf den Nerv der Zeit – mit ihrer direkten Art, ihrem jugendlichen Vokabular, aber auch durch ihre Wurzeln wirkte Adilji als Projektionsfläche für Repräsentation von jungen Menschen mit Migrationsgeschichte. Als eine der ersten Frauen mit Migrationshintergrund im Schweizer Privatfernsehen holte die Moderatorin früh einen damals noch oft medial vernachlässigten Teil der Bevölkerung ab. Obwohl Adilji es ablehnt, ein Aushängeschild einer Community zu sein, wie sie 2015 in einem Interview mit der »WoZ« sagte, wurde sie unverhofft zum Vorbild für Jugendliche mit Wurzeln von überall. Vielleicht macht sie genau der Wunsch, nicht ständig mit ihrer Herkunft zu kokettieren, zu einem solchen.

Nicht nur Jugendliche mit Migrationshintergrund erkannten sich in ihr wieder: Sie sah aus und sprach wie eine ganze Generation. Die Sprache war schon immer ihre Waffe: Ihre Sätze sind gespickt von Anglizismen und Superlativen. Alles ist irgendwie »ultra«, »mega«, »u huere«, »crazy« oder einfach »geil«. Wenn Gülsha Adilji spricht, verschmelzen diese Ausdrücke mit ihrem Ostschweizer Dialekt. Nichts klingt gekünstelt oder gestelzt, plötzlich gehören Anglizismen zum St.-Galler-Deutsch, als wären sie schon immer Teil des Dialekts gewesen. Ihre eigenwillige Sprache verleiht ihr einen unverwechselbaren Ausdruck und, auch wenn ein Witz mal danebengeht, eine gewisse Standhaftigkeit. Wenn sie etwas »abfucked «, dann »fucked« sie dieses Thema auch ab, sei es übermässiger Fleischkonsum oder Fast Fashion. Verstrickt sie sich mal in einer Aussage oder in einem Satz, dann zieht sie kompromisslos die sprachliche Reissleine: »Nein, das kann man so nicht sagen, oder zumindest nur für mich, Gülsha, ist das so!« 2012 wurde sie vom »Schweizer Journalist« zur besten Newcomerin des Jahres erkoren. Adilji wurde plötzlich auf der Strasse oder an Festivals von Fans erkannt und mit dem Wunsch für ein gemeinsames Foto belagert. In einem Interview mit dem Onlinemagazin »Finanz und Wirtschaft« witzelte sie darüber, dass sie ihren Freunden in Berlin immer erzähle, sie sei früher in der Schweiz richtig berühmt gewesen. Sogar ein Lippenstift sei nach ihr benannt worden. Die Makeup- Marke »Revlon« brachte tatsächlich einen Lippenstift mit dem Namenszug der Ostschweizerin heraus. Diese intensive Zeit sei aber zum Glück wieder vorbei, so Adilji. Sie vermisse es nicht so stark, in der Öffentlichkeit zu stehen.

Bevor ihre Karriere beim Jugendsender »Joiz« begann, erwies sie sich als Ausbildungstausendsassa: Adilji machte zunächst eine Lehre als Pharmaassistentin, schloss die Matura an und studierte zunächst Populäre Kulturen und Filmwissenschaften an der Universität Zürich, was sie jedoch abbrach, um lieber Biotechnologie an der ZHAW zu studieren. Nachdem sie die Zusage bei »Joiz« erhielt, brach sie auch dieses Studium ab. In einer E-Mail hatte sie sich unter anderem mit folgendem Satz für eine Redaktionsstelle beim Privatsender beworben: »Ich bin Vollzeitstudentin an der ZHAW, aber Achtung: nicht Journalismus und Kommunikation, sondern Biotechnologie. Ta-Ta. Und so ziemlich auf dem Weg, die Welt oder mindestens die Schweiz im Sturm zu erobern.« Sie bekam eine Anstellung. Jedoch nicht die, auf die sich Adilji ursprünglich beworben hatte – sie kam direkt in die Moderation. Bis 2015 moderierte sie dort so ziemlich alles: Von »Gülsha folgt dir«, in der sie Menschen einen Tag lang begleitete, beispielsweise eine Schweizer Soldatin oder gar den Profifussballer Xherdan Shaqiri beim Training, bis hin zu »NOIZ«, einem täglichen Newsmagazin zu Musik und Jugendkultur. Sie verliess den Jugendsender aus freien Stücken, etwa ein Jahr bevor dieser den Sendebetrieb einstellte.

Adilji drückt ihre Airpod-Kopfhörer fester in ihre Ohren, krempelt die Ärmel ihres grauen Pullovers hoch und zupft ihre beige Wollweste zurecht. Fragt man sie nach dieser Zeit im Medienrummel, spielte vor allem eine Sache eine grosse Rolle: Glück. Sie redet schneller, ihre Stimme ist plötzlich heller: »Ich habe einfach auch uh huere viel Glück in meinem Leben. Man könnte sagen, dass ich einfach ein Glückskind bin! 15 Irgendwie geriet ich immer an die guten Leute, mein ganzes Leben ist eigentlich getrieben von Glücksmomenten. So kam ich zu ›Joiz‹, dann auch zu ›Teleclub‹. Oder auch zu meinem Format bei der ›Schweizer Illustrierten‹. Heute bin ich deshalb auch in Deutschland. Irgendwie führt mich einfach eins immer zum anderen. Dieses Glück, gepaart mit einer megaguten Intuition, sorgen dafür, dass ich nie Angst um die Zukunft haben muss. Ich habe mich auch immer einfach getraut.« Intuition, aber auch eine gute Nase dafür, wo ihre Talente und ihre Person gefragt sind, scheinen bei Adilji das Rezept für ihre stete Medienpräsenz auch nach ihrem medialen Höhepunkt bei »Joiz« zu sein. Sie müsse nie Existenzängste haben, sie könne immer irgendetwas arbeiten, fügt die 35-Jährige hinzu.

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