Seine Haare tänzeln in einer leichten Brise. Die See ist ruhig. Es sind kaum Wellen auszumachen. Kommissar Reto Flückiger steht zufrieden neben seiner Kollegin, Kommissarin Liz Ritschard, die das grosse Steuer des ebenso grossen Segelschiffs in den Händen hält. Den Blick zum Horizont gerichtet und glücklich über ihren letzten, gemeinsam gelösten Kriminalfall, verabschieden sich die beiden segelnd vom Fernsehpublikum. Der letzte Luzerner »Tatort« geht damit zu Ende. Ganze 20 Kriminalfälle hat Stefan Gubser als Reto Flückiger auf dem Buckel, deren drei löst er in Konstanz, 17 folgen in der Schweiz. Im Herbst 2019, nach acht Jahren, tritt er also seinen Ruhestand an – was er dort wohl treibt?
Schwungvoll öffnet sich die Tür, und da steht er: Kommissar Reto Flückiger. Präziser gesagt: Stefan Gubser. Der Ausdruck in seinem Gesicht lässt ihn im ersten Moment ernst wie an einem Tatort wirken. Als er aber kurz darauf seine Hand zur Begrüssung ausstreckt, lächelt er, und es wird klar: Das ist nicht der ernste Kommissar aus dem Fernsehen. In kurzen Hosen und Flipflops führt der 63-Jährige ins Wohnzimmer, das durch eine grosse Fensterfront einen direkten Blick auf den Zürichsee bietet. Auf dem grossen und langen Holztisch stehen eine Wasserkaraffe und zwei Gläser bereit. Gubser setzt sich und blickt interessiert in meine Richtung.
»Es gab Zeiten, da hatte ich keine Jobs«
Stefan Gubser gehört mittlerweile zu den bekanntesten Schweizer Schauspielern im deutschsprachigen Raum. Nach seiner Ausbildung in den 1980er-Jahren am renommierten Max- Reinhardt-Seminar in Wien spielt er an verschiedenen Theatern, bevor er zum Film wechselt. Der gebürtige Winterthurer ist gemeinsam mit Weltstars wie Claudia Cardinale oder Vittorio Gassman auf der Leinwand zu sehen und wirkt in mehr als 200 Film- und Fernsehproduktionen mit. Neben der Schauspielerei ist er auch als Produzent tätig und zieht eine eigene Film- und Theaterproduktion auf. »Das ist nicht immer so gewesen. Es gab Zeiten, da hatte ich keine Jobs und es lief überhaupt nicht«, gesteht Gubser. Oft hat er auch einfach schlechte Jobs gehabt. Doch er ist jemand, der schon immer seine Träume lebt. Die ihn antreiben – und mehrfach auf verrückte Ideen bringen.
Robinson Crusoe
»Das Verrückteste, was ich wahrscheinlich gemacht habe, war kurz nach der Geburt meiner Tochter fast ein Jahr nach Brasilien auf eine einsame Insel auszuwandern.« Viele Leute prophezeiten ihm, er sei verrückt. Er entgegnet dazu nüchtern: »Ich fand das einfach cool.« Der Grund dafür liegt in seiner Kindheit. Um die Weihnachtszeit herum gibt es diesen Vier167 teiler im Fernsehen: Robinson Crusoe. Die absolute Heldenfigur von Stefan Gubser. Später dann – nach seiner Ausbildung, er ist bereits am Theater engagiert – erzählt ihm ein Freund von der Insel Salvador de Bahia in Brasilien, wo dieser ein Stück Land gekauft hat. Er baut dort nun eine Hütte und zeigt Gubser ein Foto davon. »Das war für mich diese Robinson-Crusoe- Welt«, schwärmt er. Innerhalb von Sekunden entscheidet sich der junge Schauspieler, mitzukommen und beim Bau zu helfen. Zweifel, alles aufzugeben, hat er nicht. »Das war mir egal. Das war mein Traum, das war immer mein Traum. Ich wollte auf diese Insel.«
Innerhalb von zwei Wochen ist er vom Theater in Wiesbaden zurück in der Schweiz und arbeitet im Mövenpick in Zürich, um Geld zu verdienen. Mit 5000 Franken wandert Gubser mitsamt seiner Frau und seiner Tochter nach Brasilien aus. »Es gab nur ein paar Spinner, die auf dieser Insel lebten. Wir mussten regelmässig mit einem Segelboot aufs Festland fahren, um dort einzukaufen.« Mit diesen Lebensmitteln schlagen sie sich dann jeweils gut 14 Tage lang durch. Es ist der Traum vom Aussteigen. Der Traum vom Robinson- Crusoe-Feeling. Ein Traum, den sich Stefan Gubser erfüllt hat. Weil er jemand ist, der sein Ding macht und es durchzieht. »Irgendwann merkte ich dann aber, dass das nicht mein Leben war. Ich musste wieder zurück. Ich musste etwas machen. Ich konnte nicht einfach in der Hängematte liegen und im Meer baden. Das reichte irgendwie nicht.«
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©Teaserbild: Alexander Jakob
© Fliesstextbild: Alberto Venzago