Eine der grossen Herausforderungen unserer aktuellen Zeit ist der Fachkräftemangel. Fühlen Sie sich persönlich betroffen? Wie?
Auf persönlicher Ebene betrifft mich der Fachkräftemangel derzeit (noch) nicht direkt. Da er jedoch negative Konsequenzen auf die Schweizer Wirtschaft und unsere Gesellschaft als Ganzes hat, sind wir indirekt alle davon betroffen. Und sollte sich der Mangel an medizinischem Personal verschärfen, werden wir dies alle zu spüren bekommen.
Wo und wie nehmen Sie den Fachkräftemangel als Leiterin des Netzwerks FUTURE wahr?
Unser Bildungssystem ist gefordert, die seitens des Arbeitsmarkts benötigten Fachkräfte und Spezialist:innen auszubilden. Das betrifft sowohl die Berufsbildung als auch die Hochschulbildung – auf allen Ebenen sind gut qualifizierte Mitarbeitende der Schlüssel zum Erfolg. Aufgrund der sich in vielen Branchen rasant verändernden Rahmenbedingungen (Digitalisierung, Dekarbonisierung, neue Kundenbedürfnisse, etc.) unterliegen auch die Anforderungen an das Fachpersonal einem permanenten Wandel; aus diesem Grund gewinnen die Weiterbildung und das lebenslange Lernen immer mehr an Bedeutung.
Welche Hebel hat/nutzt das Netzwerk FUTURE, um dieser Herausforderung entgegenzuwirken?
Das Netzwerk FUTURE setzt sich für optimale Rahmenbedingungen für die Schweizer Hochschulen und die Organisationen der Forschungs- und Innovationsförderung ein. Dazu gehört auch eine stabile und verlässliche Finanzierung von Bildung, Forschung und Innovation durch die öffentliche Hand. Mit Blick auf den Fachkräftemangel sind die Investitionen des Bundes in die verschiedenen Bildungsbereiche in der kommenden Finanzierungsperiode 2025-2028 zentral. Die Hochschulen müssen trotz permanent wachsenden Studierendenzahlen eine hochkarätige Lehre und gute Betreuung anbieten können, um die Expertinnen und Experten der Zukunft ausbilden zu können. Forschung und Innovation tragen ihrerseits zum stetigen Wandel des Arbeitsmarktes bei; das kann den Fachkräftemangel in gewissen Bereichen lindern, in anderen Branchen hingegen neu akzentuieren (da sich die bestehenden Fachkräfte weiterbilden oder gar umschulen müssen).
Wo und wie nehmen Sie als Vizepräsidentin der FDP Frauen Schweiz den Fachkräftemangel wahr? Wie wird ihm entgegengewirkt?
Der Fachkräftemangel hat die Bedeutung von möglichst hohen Arbeits-Pensen – sowohl bei Männern als auch bei Frauen – ins Zentrum gerückt. Es ist kein Geheimnis, dass in der Schweiz insbesondere bei den Frauen sehr viel Fachwissen brach liegt, weil sie nach der Familiengründung ihre Pensen stark reduzieren oder ihren Beruf vorübergehend gar nicht mehr ausüben. Die Politik muss auf verschiedenen Ebenen aktiv werden, um die Anreize so zu setzen, dass beide Elternteile mit möglichst hohen Arbeits-Pensen weiterarbeiten können. Zum einen gilt es die familienexterne Kinderbetreuung, wo die Schweiz ihren Nachbarländern nachhinkt, zu verbessern. Zum anderen muss eine echte Gleichstellung zwischen Mann und Frau erwirkt werden: dazu braucht es ein Umdenken in der Gesellschaft und die Einführung der Individualbesteuerung. Die zusätzlichen Stellenprozente müssen sich für die Mitarbeitenden lohnen und sollen nicht gänzlich der Finanzierung der KITA oder der höheren Steuerrechnung zum Opfer fallen.
Was/woran fehlt es (der Schweiz) aktuell konkret, um den Fachkräftemangel wirksam entgegenzuwirken?
Wie bereits ausgeführt, muss das inländische Humankapitel besser genutzt werden können, um den Fachkräftemangel zu mildern. Da uns in der Schweiz jedoch in vielen Bereichen entweder Spezialisten oder weniger qualifiziertes Personal fehlen, wird der Arbeitsmarkt weiterhin auf die Einwanderung von Fachkräften aus dem Ausland angewiesen sein. Hier sind die Personenfreizügigkeit mit der EU sowie ausreichend hohe Kontingente für Personen aus Drittstaaten von grosser Bedeutung.
Welche Chancen bietet uns der Fachkräftemangel als Gesellschaft?
Der Fachkräftemangel zwingt uns, unsere Strukturen zu überdenken. Politische Massnahmen zur Erhöhung der Arbeits-Pensen werden für die betroffenen Personen auch zu einer besseren Altersvorsorge führen. Im Bereich der Bildung braucht es den Mut für eine echte Offensive; diese Investitionen werden sich langfristig lohnen – die gut qualifizierten Fachkräfte unterstützen die Wirtschaft und den Staat mit Steuermitteln. Fachkräftemangel ist nicht nur dadurch bedingt, dass qualifiziertes Personal fehlt; manchmal wünschen sich die Fachkräfte auch einfach eine berufliche Veränderung (wie das die Pandemie bspw. im Gesundheitswesen oder in der Gastronomie gezeigt hat).
Und zum Schluss noch zwei Fragen zum Thema Dialog. Welche Rolle spielt Dialog in Ihrem Leben?
Dialog ist in der Politik ein Lebenselixier.
Was macht einen guten Dialog aus?
Man muss nicht nur gut reden, sondern vor allem auch gut zuhören können – und sein Gegenüber dabei ernst nehmen (auch wenn man dessen Ansichten nicht alle teilt).
SD21 Ambassadors gestalten mit
Das Thema Fachkräftemangel ist generationen- und gesellschaftsübergreifend und darf nicht auf die wirtschaftliche Perspektive beschränkt werden. Auch macht der Fachkräftemangel nicht an den Landesgrenzen halt. Angrenzende Länder, Europa sind genauso betroffen und in unterschiedlichste Überlegungen miteinzubeziehen.
Darum braucht’s inspirierende Persönlichkeiten, die zum Fachkräftemangel etwas zu berichten haben. Wir brauchen SD21-Ambassadors. Regelmässig portraitieren wir Unternehmer:innen, Meinungsmacher:innen, Entscheidungsträger:innen und junge Wilde, die mit ihren Ideen und ihrem Tun unseren Horizont erweitern.