Ein Erfahrungsbericht
Martin Hirzel ist seit 2021 Präsident von Swissmem, dem Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, der die Produzenten von rund 30 Prozent der Schweizer Exporte repräsentiert. Im Rahmen verschiedener Führungsfunktionen war er mehrere Jahre in China und Brasilien für den Maschinenbaukonzern Rieter tätig. Was er an seiner Heimat vermisst hat und für welche Werte wir uns einsetzen müssen, verrät er uns bei #sd21ambassadors.
In welchem Land hast du gelebt und worauf hast du dich bei deiner Rückkehr in die Schweiz am meisten gefreut?
Ich habe mehrere Jahre in China und Brasilien gelebt. Die in der Schweiz gelebte Verlässlichkeit in beinahe allen Bereichen ist schon einzigartig.
Welche Perspektive sollte die Schweiz stärker sehen?
Wir sind mit unseren Nachbarländern sprachlich, kulturell, wirtschaftlich und oft auch familiär aufs Engste verbunden. Das ist eine hervorragende Basis, um gemeinsam gute Lösungen zu finden. Daher sollte das Verbindende und nicht das Trennende unsere Perspektive prägen.
Wie sähe eine Schweiz ohne Europa aus?
Die Schweiz wäre dann Europa, denn sie stellt in vielen Bereichen eine Kleinversion des Kontinents dar. Allerdings würde der Industrie der mit Abstand wichtigste Beschaffungs- und Absatzmarkt fehlen – mit entsprechenden Konsequenzen für unsere Industriefirmen und den Wohlstand der Schweiz.
Müssen wir am Konzept der Bilateralen festhalten? Und falls ja, warum und in welcher Form? Voneinander unabhängige Dossiers, entschlackt?
Ich bin überzeugt, dass der bilaterale Weg das beste Konzept ist, um die Beziehungen mit der EU zu gestalten. Weder ein EU-Beitritt noch der EWR oder ein revidiertes Freihandelsabkommen brächten im Vergleich dazu Vorteile. Ich setze grosse Hoffnungen in den neu vom Bundesrat gewählten, sektoriellen Ansatz. Er hat das Potenzial, das Verhältnis zur EU zu stabilisieren und zu verbessern.
Bei welchen Bereichen stimmen die Interessen der EU und der Schweiz überein? Was ist der gemeinsame Nenner und/oder Faktor?
Es gibt viele gemeinsame Interessen. Wenn ich etwas hervorheben muss, dann wäre es die Forschungszusammenarbeit. Das globale Innovationszentrum beispielsweise in der Fertigungstechnik befindet sich nicht in Asien oder den USA, sondern im Raum Schweiz, Deutschland, Österreich und Norditalien. Der Ausschluss der Schweiz aus dem Forschungsförderungsprogramm «Horizon Europe» schadet nicht nur uns, sondern auch der gesamten EU.
Ist die EU für dich in erster Linie ein Friedensprojekt oder ein Projekt zur Stärkung der wirtschaftlichen Wohlfahrt?
Es ist beides. Seit Bestehen der EU hat der Wohlstand in den europäischen Staaten deutlich zugenommen. Zudem führen Staaten mit intensiven, bilateralen Wirtschaftsbeziehungen keinen Krieg gegeneinander. Der Ukrainekrieg ist da keine Ausnahme, sondern bestätigt diese These. Der Anteil der Ukraine an den Exporten Russlands lag 2020 nur knapp über einem Prozent – war also praktisch unbedeutend. Im Weiteren hat das Handelsvolumen zwischen Russland und der Ukraine in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich abgenommen.
Fakten sprechen lassen
Die Schweiz hat dank des bilateralen Weges die Türe zu Europa selbstbewusst aufgestossen. In der EU leben heute knapp 450 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten. Diese schätzen die Qualität und Innovationskraft unseres Landes. Die EU ist die wichtigste Handelspartnerin für die MEM-Industrie und wird es auch langfristig bleiben. Die Mitglieder von Swissmem exportieren 80 Prozent ihrer Güter und verkaufen 56 Prozent davon in die EU.
Quelle: Swissmem Europe
SD21 Ambassadors bewegen die Schweiz
Schweizer:innen erkennen Chancen in der Gestaltung unserer Beziehungen mit Europa, wie das Chancenbarometer zeigt. Wir müssen diese aber auch nutzen – mutiger und reformwilliger werden. Dies gelingt nur dann, wenn Dialog stattfindet und auf einen gemeinsamen gesellschaftlichen Konsens gezielt wird.
Dafür brauchen wir Persönlichkeiten, die unseren Horizont erweitern und uns inspirieren können. Wir brauchen SD21-Ambassadors. Regelmässig portraitieren wir Unternehmer:innen, Meinungsmacher:innen, Entscheidungsträger:innen und junge Wilde, die uns einen anderen Blick auf unsere Heimat geben.