„Ein Jucken spür ich, ganz verstohlen. Das Böse kommt auf leisen Sohlen.“
William Shakespeare
Wie wird die Schweiz wahrgenommen – und wie möchten wir Schweizer, dass sie wahrgenommen wird? Was zeichnet sie eigentlich aus, was weniger – und wie sind diese Stärken und Schwächen im internationalen Vergleich zu bewerten?
Unter dem Titel „Das Image der Schweiz im Ausland – vom Heidiland zur Trutzburg?“ hat sich der Strategiedialog 21 Ende Februar dieser Fragestellung gewidmet. Auf Einladung diskutierten in der Grande Société in Bern über 50 hochrangige Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Kultur, Wissenschaft und Medien über die Eigen- und Fremdwahrnehmung der Schweiz im Ausland. Zentrale Essenz der nach Chatham-House-Regeln geführten Debatten (also ohne personenbezogene Zitierung): Das positive Image der Schweiz als ein Standort mit einer sehr guten Infrastruktur, einem stabilen politischen und einem hervorragenden Bildungssystem ist sowohl in der Eigen- als auch in der Fremdwahrnehmung intakt. Aber es gibt deutliche Kratzer im Lack, die vielfach selbstverursacht oder aber dem global härter werdenden Wettbewerb geschuldet sind. Oder in Anlehnung an Shakespeare: Das Unheil kommt auf leisen Sohlen.
Das konzise Eingangsreferat eines ortsansässigen Familien-KMU-Unternehmers mit internationaler Geschäftstätigkeit wies auf Stärken – Bildungssystem, Infrastruktur, Demokratie – hin, ohne aber Schwächen auszuklammern, die gerade für den Wirtschaftsstandort von Gewicht sind. Neben der Frankenstärke ist es generell das sehr hohe Lohn- und Preisniveau in der Schweiz, aber auch eine gewisse Saturiertheit als Folge grossen Wohlstands.
Die hiesige Industrie ist zur konsequenten Verlagerung der tiefmargigen und nicht spezialisierten Fertigung ins Ausland gezwungen. In Kombination mit ungleich langen Spiessen bei Standortförderungsprogrammen, etwa bei Steuern, Kostenübernahmen, Vorfinanzierungen oder aber Erleichterungen im Bereich von Bauvorschriften, ist das Land nach dieser Einschätzung absehbar nicht mehr konkurrenzfähig.
Der Referent bemängelte das Fehlen einer kohärenten Industriepolitik, die hier Gegensteuer geben könnte – wobei kontrovers blieb, ob für die Schweiz effektiv eine gezielte Förderung einzelner Bereiche zielführend wäre oder aber eine strategisch ausgerichtete generelle Verbesserung der Investitionsbedingungen im Rahmen einer liberalen Wirtschaftsordnung. Deutlich wurde auch, dass Überheblichkeit „wir sind die Besten“ kein guter Ansatz im internationalen Wettbewerb ist – denn viele andere Staaten sind nicht einfach schlechter, ganz im Gegenteil, nicht selten aber ehrgeiziger.
An den thematisch zugeteilten Tischen wurde im Anschluss engagiert über Stärken und Schwächen aus einer Innen- und Aussensicht diskutiert, wobei als Folge des dominierenden Inländeranteils die internationale Perspektive etwas zu kurz kam.
Dabei mussten die Gäste nicht einfach nur Faktoren nennen, sondern diese auch hinsichtlich ihrer Relevanz im internationalen Vergleich bewerten. So zeigte sich beispielsweise, dass die relativ tiefe und föderal strukturierte Fiskalbelastung in der Aussensicht zwar als Stärke der Schweiz wahrgenommen wird, diese aber im internationalen Vergleich keine herausragende Bedeutung mehr geniesst.
Für die Wirtschaftsvertreter im Rund waren es vor allem „harte“ Faktoren wie Zugang und Qualität von und zu Bildung, die Güte der Infrastruktur oder die Stabilität des politischen und des Rechtssystems, die positiv bewertet wurden. Skeptischer beurteilt wurde dagegen die Währungsentwicklung, die Verfügbarkeit von Fachkräften (in Kombination mit einer verschärften Ausländergesetzgebung), das Preis- und Lohnniveau und jüngere direktdemokratische Entscheidungen wie etwa die Annahme der sogenannten Minder-Initiative zur Begrenzung von Lohnexzessen.
Interessant war, dass fast ebenso oft „weiche“ Faktoren aufgeführt wurden – als Stärken wie als Schwächen. Angeführt wurde etwa als Gegenstück zur (positiv bewerteten) Kompromissfähigkeit oder der direktdemokratischen Partizipation des Bürgers an ihn direkt berührenden Entscheidungen ein Hang zur Konsensfixierung und Angst vor Exzellenz, die mangelnde Solidarität der Schweiz im internationalen Umfeld (trotz positiver, wenn auch vielleicht etwas überschätzter Bedeutung der humanitären Friedenspolitik), aber auch in einer Aussensicht die „Rosinenpickerei“ in Kombination mit einer gewissen Arroganz. Dass letzteres eine stark subjektive Wahrnehmung ist und weniger eine faktenbasierte, tut nichts zur Sache: Perception counts, gerade auch beim sogenannten „nation branding“, bei dem die Schweiz auch als Folge diverser „Altlasten“ wie Steuerhinterziehung oder Raubgold über die Jahre immer wieder für negative Schlagzeilen sorgte.
Was aber ist nun die Quintessenz, welches sind Handlungsoptionen für ein Land, das sich immer noch gut bewertet und auch gut fühlt und dennoch spürt, dass da Wolken aufziehen?
Einig schien man sich, dass die bisherigen Erfolgsfaktoren – offene Märkte, eine liberale Wirtschaftsordnung, stabiles politisches System und verlässlicher Rechtsrahmen – wieder zu stärken seien, nicht weiter zu schwächen, sei es bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative, sei es beim Forschungsstandort, bei Investitionen in neue Technologien und in die Digitalisierung, sei im Bereich der Dienstleistungen und ebenso als Standort mindestens für eine hochwertige bzw. spezialisierte Fertigung.
In der Essenz aber war es auch ein Aufruf, die eigene Trägheit zu überwinden und das hohe Wohlstandsniveau nicht als Liegebett zu verstehen, sondern im Gegenteil als steter Ansporn, Neues zu wagen und Bestehendes zu hegen.
Oder in Rückgriff auf den Titel des Anlasses: Weder Heidiland noch Trutzburg scheinen geeignet, sich als kleine, ressourcenarme Volkswirtschaft direktdemokratischer und föderaler Prägung in einer Welt der Veränderungen erfolgreich zu behaupten. Was es braucht, ist die Bereitschaft, sich immer wieder neu zu erfinden, ohne zentrale Errungenschaften leichtfertig preiszugeben.