Ob Freiheit in der Schweiz Wunschdenken ist, misst der Avenir-Suisse-Freiheitsindex seit 2009 jährlich. Er analysiert die ökonomische und zivile Freiheit in den Kantonen und erstellt daraus ein Ranking. Und es gibt sie, die klaren Unterschiede und unterschiedlichen Interpretationen einer freien Schweiz. Dies zeigt der aktuelle Index einmal mehr.
Im Denkanstoss beantwortet Laura Calendo (Researcher bei Avenir Suisse), warum es diese Unterschiede gibt und wie unterschiedlich das Ausmass an Regulierung ist.
Verschiedene Quellen sehen einen Zusammenhang zwischen Wohlstand und Freiheit. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Rangverteilung und dem Wohlstand der einzelnen Kantone?
Berechnet man das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf der Kantone und setzt dieses in Bezug zu den im Avenir-Suisse-Freiheitsindex erreichten Punktwerten, so zeigt sich kein direkter statistischer Zusammenhang zwischen Wohlstand und Freiheit. Da der Freiheitsindex nur jene Freiheiten berücksichtigt, deren Garantie in den Hoheitsbereich der Kantone fällt, erstaunt diese jedoch kaum: Die Unterschiede zwischen den Kantonen – bezüglich kantonaler Freiheit und BIP pro Kopf– sind innerhalb der Schweiz dann doch zu klein, um einen solchen Zusammenhang statistisch nachzuweisen. Trotzdem, der Avenir-Suisse-Freiheitsindex misst ökonomische und zivile Freiheiten und beide Bereiche sind entscheidend für den langfristigen Erfolg einer freiheitlichen Ordnung.
Wenn man reguliert, sollte man immer die möglichst liberale Option wählen. Wie setzt sich Avenir Suisse sich für freiheitliche Regulierung ein?
In den letzten Jahren wuchs der Bestand an Gesetzen und Verordnungen konstant – wir können von einem veritablen Regulierungsdickicht sprechen. Insgesamt besteht unser Landes- und Staatsvertragsrecht heute aus mehr als 69‘000 Seiten und täglich kommen rund 25 neue Seiten dazu! Wir als Think-Tank weisen seit geraumer Zeit darauf hin, dass diese anhaltende Regulierungstätigkeit mittel- bis längerfristig die Wettbewerbsfähigkeit und das Innovationspotenzial der Schweiz bedroht. Gerade letztes Jahr haben wir mit unserer Studie «Auswege aus dem Regulierungsdickicht» anhand konkrete Vorschläge aufgezeigt, wie gegen die überbordende Regulierungstätigkeit vorgegangen werden könnte. Auch mit unserem Freiheitsindex wollen wir aufzeigen, dass es gewisse Kantone – wie etwa der Aargau oder Schwyz – gibt, die ihre Ziele mit weniger einschneiden Massnahmen erreichen als andere Kantone.
Aus dem Freiheitsindex geht hervor, dass die Deutschschweizer Kantone in den ökonomischen Indikatoren wesentlich besser abschneiden als die Kantone der Westschweiz. Wie erklären Sie sich diesen Röstigraben?
Die Werte im Avenir-Suisse-Freiheitsindex zeigen tatsächlich, dass im ökonomischen Bereich in der Romandie und im Tessin mehr als in der Deutschschweiz reguliert wird. Die Westschweiz und das Tessin scheinen tendenziell zentralistischer und somit ein Stückchen «staatsgläubiger» als die Deutschschweiz zu sein.
Welche Kantone können eine Vorbildfunktion einnehmen und warum?
Natürlich können die Kantone auf den vorderen Rängen des Avenir-Suisse-Freiheitsindexes eine Vorbildfunktion einnehmen – in Sachen Freiheitlichkeit lässt sich sicher einiges von den Kantonen Aargau und Schwyz lernen. Schaut man nur auf die zivilen Freiheiten, kann aber auch der Jura als vorbildlich gelten. Letztlich lassen sich für fast jeden Kanton einzelne Indikatoren identifizieren, bei denen er zu den Klassenbesten gehört und somit als Vorbild dienen kann. Das Schöne am Schweizer Föderalismus ist, dass alle von allen lernen können.