Rund 180 Anmeldungen, dicht besetzte Festbänke, eine Autowerkstatt im Herzen Zürichs und rundherum freundliche und freudige Gesichter – die dritte Ausgabe des „Challenge21“ hat einen erfreulichen Markstein für den StrategieDialog21 gesetzt. In Kooperation mit dem Entrepreneurs Club der ETH Zürich und zu Gast in den Werkstätten und im Showroom der AMAG AG wurde generations- und geschlechterübergreifend einen Abend lang engagiert darüber diskutiert, warum wir in der Schweiz mit Scheitern und Niederlagen eher Mühe haben – und wo wir wieder mehr Mut finden, etwas zu wagen, auch wenn der Erfolg nicht garantiert ist.

„Scheitern? Scheitern!“ – unter diesem Titel lud der StrategieDialog21 am 26. Juni zum Sommeranlass „Challenge21“, dieses Mal in die Werkstätte der AMAG AG am Utoquai in Zürich. Das Debatten-Format wurde leicht abgeändert: In Kooperation mit dem Entrepreneurs Club der ETH, der unter anderem die sogenannten „Fuck-up“-Nights veranstaltet, präsentierten nach der Einführung durch die Geschäftsführerin des SD21, Nathaly Bachmann, und unter der Moderation von Markus Spillmann zunächst drei „Speed-Talkern“ ihre ganz persönliche Erfahrung mit Scheitern und Niederlagen. Alan Frei, Unternehmer und Gründer diverser Firmen, jetzt Mitinhaber und CMO des Sextoys- und Dessous-Anbieter Amorana.ch, gestand freimütig ein, eigentlich fast alle von ihm gegründete Unternehmen in den Sand gesetzt zu haben. Gestört habe ihn das aber nie, denn jeder Fehlschlag sei Ansporn gewesen, es aufs Neue zu versuchen. Den zahlreichen Studierenden im Raum riet er, drei Dinge zu beherzigen: Sich auf ein Projekt und nicht auf eine To-do-Liste zu fokussieren, nach einer Gründung nicht möglichst schnell viele Leute anzustellen, und der eigenen Idee treu zu bleiben.

Am Leistungsdruck fast zerbrochen

Einen völlig anderen Akzent setzte Ariella Käslin. Die ehemalige Kunstturn-Spitzensportlerin, die für die Schweiz als erste Medaillenränge an Europa- und Weltmeisterschaften errungen hatte, war 2011 nur ein Jahr vor den Olympischen Sommerspielen in London völlig überraschend zurückgetreten. Sie hatte unter dem beständigen Leistungsdruck und den Entbehrungen so sehr gelitten, dass sie an einer Erschöpfungsdepression erkrankte. Käslin schilderte nüchtern und dennoch berührend offen die Schonungslosigkeit des Leistungs- und Spitzensportes, und was ihr als Teenagerin und junge Frau an Opfer abverlangt wurde. Heute steht Käslin wieder mit beiden Beinen im Leben, hat die Matur nachgeholt, studiert Sport und Psychologie und tritt als Referentin auf. Auf die Frage, ob sie einer Jugendlichen denn noch raten könne, so jung Spitzensport zu betreiben, antwortete sie: „Ja, heute kann ich das wieder. Vor sieben Jahren hätte ich klar Nein gesagt. Denn bei allem Negativen, ich habe auch sehr viel Schönes erlebt.“

Reduziert auf den finanziellen Erfolg

Die dritte Speed-Talkerin nutze ihre 10 Minuten, um etwas grundsätzlicher über das Scheitern zu sprechen. Die Jungunternehmerin Pauline Marie Treis gründete nach ihrem Politologie-Studium das eigene Mode-Label „Jungle-Folk“, das in kolumbianischen Kleinschneidereien modern geschnittene Frauenkleidung aus natürlichen Materialen herstellen lässt. Sie habe sich eigentlich nie damit auseinandergesetzt, was für sie Scheitern bedeuten könnte, erklärte sie freimütig. Selbst habe sie weder schneidern können noch viel von Mode verstanden, geschweige denn Schnittmuster anfertigen können. Die ersten Gehversuche seien denn auch hart gewesen, und kostspielig. Entsprechend hätten Bekannte und Freunden immer wissen wollen, wie es ihr denn eigentlich nun gehe. Gemeint sei oft gewesen, wie sie finanziell über die Runden komme. Vielleicht sei das ein typisches Verhalten in der Schweiz: Beruflichen Erfolg in erster Linie finanziell zu definieren. Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung in einem Bereich wahrzunehmen, der von Massenproduktion und Ressourcenverschleiss geprägt ist, sei ihr aber immer wichtiger gewesen als eine „klassische“ Berufskarriere in einem Angestelltenverhältnis, bei dem sie ihr Fachwissen hätte einbringen können und damit möglicherweise gut zu verdienen.

Den Mut belohnen

Im Anschluss an Paella, Salat und Dessert diskutierten dann Morten Hannesbo als CEO der AMAG, die Gemeindepräsidentin von Bergell, Anna Giacometti, der Rektor der Universität Zürich, Michael Hengartner, und Gregory Inauen als Präsident des ETH Entrepreneurs Club, ob und wie in der Schweiz gesellschaftlicher und unternehmerischer Mut befördert werden und Niederlagen weniger als Scheitern stigmatisiert werden könnten. Giacometti, die am 23. August 2017 über Nacht durch den verheerenden Bergsturz bei Bondo zur Katastrophenmanagerin wurde, gestand ein, dass sie Mühe habe mit Scheitern. Zum einen sei eine Naturkatastrophe ein Schicksalsschlag, gegen den man sich nie gänzlich wappnen könne, darum sei hier Scheitern eigentlich das falsche Thema. Als politische Verantwortungsträgerin jedoch sei sie natürlich bis heute gefordert, die Krise gut zu bewältigen. Das habe ihr zunächst schlaflose Nächte bereitet. Sie sei in einem Elternhaus aufgewachsen, wo man nicht habe scheitern dürfen. Das präge sie bis heute.

Inauen wiederum bekräftigte, dass auch für heutige Jugendliche das Thema wichtig sei – es sei nicht so, dass die Generation Y nicht dem Leistungsdenken ausgesetzt sei. Jungunternehmerinnen und –unternehmer wollten Erfolg haben; wichtig sei, Niederlagen erdulden zu können und die richtigen Lehren daraus zu ziehen. Als Rektor der Universität Zürich und preisgekrönter Mikrobiologe betonte auch Hengartner die Notwendigkeit des Scheiterns. Wissenschaftlicher Fortschritt basiere auf Fehlschlägen; das sei vielleicht bisweilen frustrierend, aber immer bereichernd. Er halte zwar die These für richtig, dass die Schweiz ganz pauschal gesprochen tendenziell eher vorsichtig agiere, das sei aber nur dann wirklich ein Problem, wenn es zu Stillstand oder gar Genügsamkeit führe. Diese stelle er aber nicht fest, ganz im Gegenteil: Im internationalen Vergleich sei die Schweiz immer noch eine der innovativsten Länder überhaupt, mit hervorragenden Köpfen und hoch-kompetitiven Unternehmen. Falsch sei zudem, nur die Akademia anzuschauen: Erfolgreiche Unternehmer gebe es zu Tausenden auch im Gewerbe und bei Fachberufen, auch das sei ein Gütesiegel für unser Land.

Freiräume schaffen

Morten Hannsebo betonte seinerseits als Manager des grössten Auto-Importeurs der Schweiz die Notwendigkeit, innerhalb einer Firma auch eine Kultur zu etablieren, in der Mut gelebt werden darf und damit auch das Risiko in Kauf genommen wird, ab-und-zu einen Fehler zu machen. Dies dürfe nicht dort passieren, wo der Kunde betroffen sei oder die Reputation der Firma Schaden nehme: Darum investiere die AMAG ganz bewusst in Startup-Unternehmen, die autonom und ausserhalb der Firma blieben. Zudem gebe es „Innovations-Zellen“, die er bewusst mit grossen Freiheitsgraden ausstatte, um genau diese Kultur auch innerhalb der AMAG zu befördern.

Einig waren sich die Podiumsteilnehmer bei der Einschätzung, dass zu viele Regeln und das dicht gespannte Netz an Normen in der Schweiz unternehmerischen Mut nicht eben befördern und es eine stetige Aufgabe bleibt, den Dialog zwischen etablierten und am Markt erfolgreichen Unternehmen und jungen, aufstrebenden Kräften zu befördern.

Das genau war die Zielsetzung des diesjährigen Challenge21, was im Abschlussvotum auch noch einmal der Unternehmer und Initiant des StrategieDialogs21, Jobst Wagner, betonte. Es sei schön zu sehen, dass an einem solchen Anlass junge und ältere unternehmerisch denkende Menschen über Scheitern, Niederlage und den Mut zum neuen Aufbruch diskutierten – das sei in seiner Jugend nicht der Fall gewesen.

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