Im Rahmen des Themenfeldes „Gesellschaft und Individuum“ hat der StrategieDialog21 am 24. September 2015 in der Grande Société in Bern eine hochkarätig besetzte Abendveranstaltung zum Thema „Welche Schweiz wünschen wir für welches Europa“ durchgeführt. Der Anlass fand unter Chatham House Rules statt, also in Vertraulichkeit, um eine möglichst offene Diskussion zu gewährleisten.
Die rund 70 Gäste, unter ihnen hochrangige Vertreter der Politik, der Wirtschaft und von Bundesbehörden, diskutierten in 5 Gruppen aus Sicht der Politik, der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kultur und der Informationsgesellschaft über den Ist-Zustand des Verhältnisses der Schweiz zu Europa und über die Erwartungen und Hoffnungen, wie dieser Zustand in 5-10 Jahren aussehen soll. Darüber hinaus wurden konkrete Handlungsoptionen entwickelt und Verantwortlichkeiten benannt, die aus Sicht der Teilnehmenden für eine entsprechende Entwicklung aktiv werden müssten.
Im Vordergrund stand für SD21 nicht die Debatte über den Bilateralismus oder gar über die Wünschbarkeit/Ablehnung eines EU-Beitritts. Zielsetzung war vielmehr, eine Auslegeordnung der verschiedenen Standpunkte vorzunehmen. Davon abgeleitet wurden einerseits für die verschiedenen Interessengruppierungen allfällige Differenzen zwischen Ist-Einschätzung und Soll-Erwartung eruiert, andererseits aber auch Divergenzen innerhalb und zwischen den verschiedenen Interessengruppen identifiziert. Die Einschätzungen zu Ist und Soll wurden in Form von Spider-Diagrammen visualisiert.
Die äusserst angeregten Diskussionen zeigten, dass insbesondere der Ist-Zustand – also das derzeitige Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU/Europa – von vielen Teilnehmern als sehr unsicher eingeschätzt wird. Die weiterhin unklare Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar 2014 im Einklang mit den bestehenden bilateralen Verträgen wurde dafür als Grund genannt. Verschiedene Votanten machten aber auch deutlich, dass man sich angesichts der Entwicklung in Europa und der immer stärkeren Vergemeinschaftung der EU ganz generell eine breitere Diskussion über die strategische Stossrichtung und die politischen Optionen der Schweiz wünscht. Die bisherige Kommunikation zu und über Europa, allen voran seitens des Bundesrates, wird offenkundig als mangelhaft empfunden.
Die Unsicherheit über den Ist-Zustand – auch hinsichtlich der eigenen Interessenlage – kontrastiert mit den eher klareren Vorstellungen über die Zukunft. Relativ homogen war dabei die Einschätzung, dass die Schweiz das Faktum der weltweiten Verflechtung als gegeben anerkennen muss – wobei je nach Interessengruppe diese gegenseitigen Abhängigkeiten als „bereichernd“ (Wissenschaft/Kultur), „belastend/unsicher“ (Politik) oder als „notwendig/nutzenstiftend“ (Wirtschaft) wahrgenommen werden.
Erwartungsgemäss war die Bandbreite der Vorschläge für eine Klärung des Verhältnisses gegenüber der EU sehr gross. Von einer „Revitalisierung“ des EWR-Vertrages, einem stärkeren sektoriellen Vorgehen (z.B. im Bereich der Wissenschaft), der Akzeptanz eines institutionellen Rahmenabkommens mit entsprechender Schieds- bzw. Gerichtsbarkeit oder aber dem autonomen Nachvollzug auf Verordnungsebene war die Rede – was bei anwesenden Teilnehmern mit langjähriger „Brüssel“-Erfahrung zeitweise Stirnrunzeln auslöste.
Einig war man sich allerdings dahingehend, dass es ohne einen breiten innenpolitischen Konsens und einer stabilen Mehrheit unter Einschluss auch der Sozialpartner keine zielführende Europapolitik geben kann. Gefordert seien dabei in erster Linie die Parteien, der Bundesrat und das Parlament, sehr wohl aber auch die Unternehmen, Think Tanks, die Akademia, nichtstaatliche Organisationen und Initiativen sowie ganz generell die Zivilgesellschaft – allen voran wir alle als Bürgerinnen und Bürger. Passend dazu zeigt unsere aktuelle Infografik, was die Parteien zu Europa und zur EU twittern und wonach die breite Bevölkerung googelt.