Misst man beim Bauen eines Hauses der Arbeit am Fundament nicht die entsprechende Bedeutung bei, entsteht nichts Dauerhaftes. Je grösser das Gebäude, umso wichtiger wird die Statik. Ich bin ursprünglich gelernter Hochbauzeichner. Ich habe dieses Handwerk noch in der Bleistift-Transparentpapier-und-Tusche-Ära erlernt. Rasch wurde mir als „Stift“ klar, dass man nicht nur präzise zeichnen können muss, wenn man gute Arbeit leisten will. Es braucht mehr: Nebst den Fertigkeiten des technischen Zeichnens braucht es auch die Auseinandersetzung mit Materialien, dem Bauplatz, seinem Kontext und den Rahmenbedingungen. Je anspruchsvoller das Vorhaben, umso intensiver muss man sich damit auseinandersetzen. Es braucht noch mehr: Um erfolgreich ein Vorhaben umsetzen zu können, braucht es auch ein entsprechendes Verständnis von Professionalität: Wie ein „Savoir faire“ braucht es auch ein „De quoi s`agit-il?“ Worum geht es? Wozu tun wir das, was wir tun? Man kann dies um die beiden Fragen nach Effektivität und Effizienz ergänzen. «Tun wir das Richtige?» und «Tun wir es richtig?» Die grundlegenden Voraussetzungen zu durchschnittlichen bis guten Handwerkern besitzen die meisten; der Unterschied zur Spitzenleistung liegt in der Motivation und im Streben nach Qualität. Dazu muss man vom Beruf, von der Tätigkeit begeistert sein; man ist, was man tut. Das Sprichwort «Was man liebt, gibt zu tun» bringt es dabei auf den Punkt. Das bildet überall das Fundament zu guter Arbeit.
Das Auge kann sich selber nicht sehen
Ich habe die Baubranche nach achtzehn Jahren spannender Tätigkeit verlassen, um mich weiterzubilden und arbeite nun auch schon seit über zehn Jahren als breit ausgebildeter und begeisterter Organisations- und Personalentwickler. Auch in diesem Beruf ist es dasselbe: Man muss ein entsprechendes Verständnis haben, um professionelle Arbeit leisten zu können. Man kann dies nicht einfach durch das Lesen von Büchern, durch Kurse und Weiterbildungen erreichen – es braucht mehr. Es braucht die ständige Auseinandersetzung mit den Entwicklungen der Welt, des Wissens, mit anderen und mit sich selber. Man muss sich, sein Wissen und Können, die Auffassung von der eigenen Tätigkeit, seine Überzeugungen ständig kritisch hinterfragen und auch hinterfragen lassen. Aus gutem Grund: „Das Auge kann sich selber nicht sehen“, lautet ein passendes Sprichwort. Um sich selber sehen zu können, braucht man einen Spiegel und was man dann zu sehen bekommt, ist nicht immer das Erwünschte. Manchmal erhält man Rückmeldungen, die wenig bequem sind und eigene Bilder angreifen, sogar zu Staub zerfallen lassen. Dazu muss man stehen können und manchmal auch sagen können: «Ich habe mich getäuscht.» Oder: «So habe ich dies noch nie betrachtet.» Nur so kann die eigene Professionalität, das eigene Verständnis über das eigene Tun erfolgreich weiter entwickelt werden.
Gutes Handwerk
Man kann alle Berufe, alle Tätigkeiten als Handwerk sehen. Der grosse amerikanische Soziologe Richard Sennett beschreibt dies sehr anschaulich in seinem Buch „Handwerk“. Dabei ist es egal, ob man hinter einem Tresen einen Espresso braut oder im Planungsbüro ein Spital projektiert. Man kann in der Tat einen Espresso einfach „uselah“, ohne Schaumkrone, die Tasse auf den Unterteller knallen, so dass der Inhalt überläuft und Spuren aussen an der Tasse hinterlässt und erst noch den Löffel falsch herum platzieren. Der anspruchsvolle Kunde wird wohl kaum begeistert sein, sei der Espresso noch so gut. Mit dem Bauen ist es dasselbe, siehe beispielsweise die 2002 eröffnete Frauenklinik in Bern.
Schaue ich die Schweiz als Bauwerk an, geht es mir ähnlich. Was die beteiligten Planer, Bauleitungen und Handwerker in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Gebäude alles angestellt haben, irritiert und manchmal macht es nur noch ratlos. Nicht nur die Fassade bröckelt seit längerem. Die Installation ist ein Flickwerk, die Wohnungen verwahrlosen zunehmend, bezüglich Waschplan gibt es je länger, je mehr Konflikte. Zur Zeit traue ich auch der Statik nicht mehr. Man sollte dringend nach der Hausfundation sehen und zwar nicht indem man die Sache im Büro durchrechnet, sondern indem man eigenhändig mit der Taschenlampe in den Keller geht: „De quoi s`agit-il?“
Fokus auf Qualität
Die Schweiz ist nicht einfach ein Haus – sie ist ein Hochhaus, eine hochkomplexe Konstruktion. Eine solche will geschickt und solide konstruiert sein. Sie benötigt viel Arbeit am Fundament, nüchterne Analysen, konstruktiven Dialog, eine hohe Professionalität und viel Arbeit am Verständnis über den Bau von Hochhäusern. Nicht nur bei all jenen, die Rahmenbedingungen entwerfen, festlegen und verändern, aber in erster Linie dort. Die Situation hat absurde Aspekte: Wer heute Hebamme werden will, muss Berufs-, Fach- oder gymnasiale Maturität plus Praktikum als Vorbildung zu einer vierjährigen Ausbildung mitbringen. Am Schluss steht dann der „Bachelor of Science Hebamme“. Um Politiker zu werden, braucht es nichts dergleichen. Man muss lediglich von der eigenen Partei portiert und gewählt werden. Es braucht keine Ausbildung, keine Nachweise über definierte Kompetenzen. Es gibt auch keine institutionalisierte Ausbildung für solche, die politisch tätig sein wollen. Hinzu kommt die nicht ungefährliche Tatsache, dass die Parteien eine monopolartige Stellung für die Rekrutierung von Nachwuchskräften besitzen.
Die heutige Qualität von Politikern (von einigen wenigen löblichen Ausnahmen abgesehen) ist für die Bewältigung der anstehenden Herausforderungen ungenügend. Wenn der Hebammenberuf heute solch hohe Anforderungen stellt, umso mehr braucht es dies auch in der Politik. Nicht jeder bzw. jede sollte heute Politik machen dürfen, es ist schlichtweg eine zu ernste, zu wichtige Tätigkeit. Es darf auch nicht jede und jeder Häuser bauen.