Die steigende demographische Alterung macht auch vor der Schweiz nicht halt (laut Bundesamt für Statistik beläuft sich der Anteil der über 65-Jährigen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in 2060 auf fast ein Drittel). Häufig im negativen Kontext diskutiert, birgt die zunehmende Alterung aber durchaus Chancen. Ja, dies auch für Bildungszwecke.
Die Probleme mit dem Alter & Fokus der politischen Diskussionen
Probleme wie finanzielle Altersvorsorge und Seniorenpflege werden in Medien und Politik rege diskutiert. Im Internet findet man viele Beiträge. Beispielsweise die Buchzusammenfassung „Generationenungerechtigkeiten überwinden“ von Jérôme Cosandey (Hrsg. Avenir Suisse, 2014) bietet interessante Denkanstöße, die Herausforderungen der Zukunft anzupacken.
Wo sind die Chancen?
Doch Chancen, welche die wachsende Alterung mit sich bringt, finden noch zu wenig Beachtung. „Das Potenzial, die Fähigkeiten und die Mittel der Senioren werden übersehen“ so Klaus Haberkern, Soziologe an der Universität Zürich. Vielleicht liegt in der gezielten Nutzung von zunehmend zur Verfügung stehendem reifen Wissen (= Wissen gepaart mit Lebenserfahrung, also das Wissen der älteren Generationen) eine Opportunität.
Ein positiver Vorschlag
Wie lässt sich reifes Wissen, etwa in Form von generationenübergreifendem Wissenstransfer, im Kontext Bildung nutzen? Welche Szenarien sind zukünftig vermehrt denkbar?
- Einsatz in Schulen: In den Nachbarländern finden generationenübergreifende Projekte bereits verstärkt politische Unterstützung. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel unterrichten vereinzelt Senioren in den Schulen. Allenfalls lässt sich in der Schweiz reifes Wissen nachhaltig, als Bestandteil des Lehrplans, in Form von Vorträgen oder Workshops einsetzen. Oder Senioren springen bei akutem Lehrermangel als Lehrkräfte ein und gestalten den Unterricht interaktiv mit.
- Mentoring für Jugendliche: Für Jugendliche in schwierigen Elternhäusern können Senioren als Mentoren fungieren. Sie können, basierend auf ihrer Lebens- und Berufserfahrung, beratend zur Seite stehen und jungen Menschen helfen, die richtigen Entscheide bei der Schul- und Berufswahl zu treffen. Auch bei andern Themen. Vielleicht nehmen Jugendliche, die ein schwieriges Verhältnis zu ihren Eltern haben, Ratschläge von neutralen Außenstehenden eher an.
- Wissensmanagement Systeme: Das Wissen älterer Menschen ließe sich auch in Wissensmanagement Systemen sichern. Quasi ein Wiki von Alten für Junge. Dort könnten Interessierte nach Themengebieten sortierte Daten und Informationen abfragen und bei Bedarf mit den jeweiligen Verfassern/Senioren vertieft in den Dialog gehen.
- Mentoring in Unternehmen: In Unternehmen sind Mentoren Programme vereinzelt bereits im Einsatz. Meist sind es erfahrene Arbeitnehmer, die weniger erfahrene Mitarbeiter betreuen. Aber auch hier könnte man Personal aus dem Ruhestand reaktivieren. Sie haben mehr Zeit und können so Mitarbeiter intensiver betreuen. Womöglich ist die Bereitschaft, ihre Erfahrungen zu teilen, auch noch grösser als bei den etwas jüngeren Kollegen.
- Mitarbeiterausbildung: Pensionierte besitzen fachspezifisches Wissen, welches sie durch Arbeitserfahrung angesammelt haben. Denkbar wäre, ihr explizites Wissen in Form von Schulungen, Referaten und Workshops an die jüngeren Kollegen weiter zu geben. Auch das aktive Mitwirken bei der Ausbildung von Lehrlingen, als „neutrale“ Fachspezialisten mit alternativem Blickwinkel, wäre vorstellbar.
Voraussetzung: Freiwilligkeit & Verantwortung
Erfolgreich sind derartige Initiativen zum Intergenerationenwissenstransfer jedoch nur unter dem Gebot der Bereitschaft (Wissen teilen). Auch Freiwilligkeit ist Voraussetzung.
Interessanterweise sind laut dem Soziologen François Höpflinger ältere Menschen für generationenübergreifende Aktivitäten und Initiativen eher empfänglich als jüngere Generationen (François Höpflinger 2010, Intergenerationenprojekte - in Arbeitswelt und Nachbarschaft). Junge Menschen sind bereit, sich zu engagieren, „wenn sie aus ihrem Engagement einen konkreten persönlichen Nutzen ziehen können“, so Beate Grossegger, wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien.
Und wie sieht es „enet“ der Grenze aus?
Vergleicht man die Schweiz mit ihren Nachbarländern, werden hier weniger generationenübergreifende Projekte und Initiativen ins Leben gerufen. Laut Höpflinger sind es meist private Initiativen mit vereinzelter Partizipation von Gemeinden und Städten. Doch wie Albert Einstein einst sagte, „der Fortschritt lebt vom Austausch des Wissens“. Dem gemäß sollten auch wir in der Schweiz aktiver werden.
Lassen Sie uns wissen, wie dieses Wissen Früchte tragen soll!
Die Plattform StrategieDialog21 bietet die Möglichkeit, Wissen auszutauschen und in den Diskurs zu gehen. Deshalb freut es mich, als Mitglied der Gruppe Bildung, dem Thema Intergenerationenwissenstransfer mit diesem Beitrag mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Ich bin gespannt, welche Rolle reifes Wissen zukünftig in der Schweiz einnehmen wird.